... Dem Privaten wird auch in dem zweiten Werkteil von Lydia Koch eine entscheidende Rolle zugewiesen: Fotomontagen, die dem Thema »Küche« gewidmet sind. Es sind jeweils drei Motive zu längeren Bildstreifen (von ca. 30 x 120 cm) zusammengefügt.

In Bezug auf Küche und Küchenutensilien ist man seit der Neuzeit geneigt von einem Stilleben zu sprechen, was im Falle von Lydia Koch's »Küchen« buchstäblich genommen werden sollte. Diese Stilleben sind keine »nature morte«, keine Darstellungen der reglosen Gegenstände. Diese Küchen sind voller Leben, das sich mal mehr, mal weniger eindeutig erfassen lässt, sei es nun ein Wasserstrahl, ein Katzenschwanz, ein schief stehendes Glas, das nur noch eine Spur der Bewegung in sich hat, oder eine abgeblühte Rose. Nicht umsonst sind es keine Hi-Tech Küchen, deren Hauptmerkmal Sterilität ist. Denn steril ist oft ein Synonym für anonym. Die Küchen von Lydia Koch sind dagegen sehr persönlich. Dass die Personen, die in den Küchen agieren und Zeichen ihres Lebens hinterlassen, dem Betrachter unbekannt sind, ist unerheblich. Wichtig bleibt, dass Kühlschränke, Tassen, Thermoskannen aus den Reihen ihresgleichen heraustreten.

Mehr noch, die Küche mit all ihren Bewohnern (einschließlich Insekten) entwickelt ihr eigenes geheimnisvolles Leben und beeinflusst das Dasein ihrer Besitzer. Wer zuckte nicht vor Grausen, als aus der Küche auf einmal das laute Summen des Kühlschranks ertönte? Außerdem wissen die Küchen viel von unseren Schwächen und Vorlieben, was das Essen und viele andere Aspekte des menschlichen Lebens angeht, denn Küchengespräche sind meist die aufrichtigsten im Hause.

Ein bedeutender Bestandteil der neuzeitlichen Stilleben ist der Vanitas-Gedanke, der durch sündhaft teure exotische Früchte, zarte Blumen und kurzlebige Insekten veranschaulicht wurde. Ähnlich ist es mit Küchen, mit ihren halbleeren Flaschen und aus der Mode gekommenen Vorhängen. Vergänglichkeit des Privaten, des Einmaligen, des Einzigartigen als eine sinnstiftende Erfahrung?!

Alle Montagen sind dreiteilig, wobei es immer drei Abbildungen einer Küche sind, drei Fragmente, die den Eindruck erwecken, man stünde in der Mitte der Küche und das tiefste Innerste wäre einem offenbart worden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beide Werkteile von Lydia Koch »Peremaa« und »Die Küchen« den Akzent auf eine besondere Atmosphäre legen. Sie verführen den Betrachter zuerst zu einer emotionalen Auseinandersetzung mit den Werken, dann stellt man aber fest, dass man sich bereits auf einen der härtesten und fruchtbarsten Denkprozesse – die Identitätssuche, die Suche nach dem eigenem Ich – eingelassen hat.

Auszug aus dem Artikel: »Das stille Leben in Peremaa«
von Julia Chamchovich,
Kunsthistorikerin M.A., 2004